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Die Anfänge

darwin charles

Charles Darwin

Otto Koenig war nicht der erste, der über "kulturethologische" Fragen gearbeitet hat, auch nicht über die "Evolution" von Uniform und Bekleidung.
Dass die Evolution, deren Verlauf und deren Gesetzmäßigkeit erstmals an der Geschichte der Lebewesen durch Charles Darwin (1859) aufgezeigt worden waren, nicht nur die organische Welt betrifft, sondern alles, was Gegenstand menschlicher Erfahrung werden kann, war bereits vor Darwin vermutet worden und wurde alsbald nach Darwin auch von Herbert Spencer (1862), von Ernst Haeckel (1868; 1899; 1917) und von W. Leche (1922) programmatisch geäußert.

 

Emanuel Herrmann

Zu den frühen und bis auf den heutigen Tag übersehenen "kulturethologischen" Vorläufern Koenigs zählt Emanuel Herrmann, der 1878 in Wien eine Arbeit zur "Naturgeschichte der Kleidung" veröffentlicht hat. E. Herrmann befasst sich in dieser Arbeit sehr kenntnis- und einfallsreich mit der Geschichte der Kleidung. Aber Herrmann belässt es nicht bei kulturgeschichtlichen Analysen. Ausdrücklich bezieht er sich - sich seines Mutes durchaus bewusst - auf Charles Darwin: "Möge uns Darwin die Sünde verzeihen, dass wir seine großartigen Forschungen über Anpassung und Vererbung, Zuchtwahl und Domestikation gar auf die Bekleidung anwenden wollen".

emanuel herrmann

Emanuel Herrmann, Abbildung auf
einer Sonderpostkarte (1894)

Aber die "Metamorphose" der Kleidung im Laufe der Geschichte erscheint E. Herrmann zu offensichtlich analog der Geschichte der "Naturgestalten" zu verlaufen. Herrmann ist sich sicher, dass die naturgeschichtliche Analyse der Kleidung "eine wahre Wissenschaft werden kann". Eine Fülle an Argumenten und Hinweisen führt er auf. Zu den Hauptargumenten zählt:

"Nicht nur die Neugeburt veränderter Formen in der Bekleidung ähnelt dem Werden der Naturgestalten, auch mit dem Absterben ist es gleichfalls so. In vorausgehenden Kapiteln wurde erzählt, dass die Kopfbinde heute noch auf dem Männerhute als vorweltlicher Überrest zu finden sei in Gestalt des Hutbandes, dass das spanische Mäntelchen zum Kragen eingeschrumpft sei, dessen wir heute noch trotz seines zwecklosen und hinderlichen Daseins nicht los und ledig werden können. … Und in ähnlicher Weise haben die Naturforscher entdeckt, dass auch heute noch der Mensch ein Schwänzchen mit sich herumtrage, wenn auch versteckt, das aber beim menschlichen Embryo während der ersten beiden Monate der Entwicklung noch frei hervorsteht".

Dies ist nur ein Beispiel einer Argumentation, die - natürlich auf wesentlich differenzierterem Niveau der evolutionstheoretischen Forschung - vergleichbar bei Otto Koenig hätte stehen können.

Unmittelbar vor Otto Koenig hatte Bernhard Rensch in seiner Arbeit "Homo sapiens" (1. Aufl. 1959; 2. erweiterte Aufl. 1965) in einem gesonderten Abschnitt "Gesetzlichkeiten der Kulturentwicklung" dargestellt und dabei 14 unterschiedliche Verlaufsformen, die er in der Kulturgeschichte, analog zur biologischen Evolution, meinte finden und belegen zu können, aufgeführt (1965, 117-128).

 

Bernhard Rensch

bernhard rensch

Bernhard Rensch

Wesentliche Anstösse zur Analyse der kulturellen Evolution hat der deutsche Zoologe und Evolutionsforscher Bernhard Rensch, Ordinarius für Zoologie der Universität Münster bereits im Jahr 1959 in seiner Publikation "Homo sapiens" gegeben. Ihm war der Nachweis einer gewissen Gesetzlichkeit der Kulturentwicklung besonders wichtig. Er stiess dabei jedoch auf den Widerstand vieler Historiker. Zu den Gesetzlichkeiten der Kulturentwicklung zählen seiner Meinung nach nicht nur die aus der Evolution bekannten Ausleseprozesse. Vielmehr laufe die Kulturgeschichte nicht regellos sondern folge bis zu einem gewissen Grade spezifischen Gesetzen.

Bernhard Rensch nennt neben den elementaren Gesetzen der Auslese 14 weitere Gesetzlichkeiten für kulturelle Entwicklungen:

  1. Höherentwicklung (z.B. die Erfindung des Rades und dessen funktionale Verbesserungen durch Nabe, Speichen, eiserne Beschläge, Schmierfett usw).
  2. Zunahme der Zentralisierung (z.B. Bildung grösserer gesellschaftlicher Systeme mit zentraler Steuerung: Dörfer, Städte, Fabriken, Schulen, Postämter, Gerichte, Kliniken usw).
  3. Zunahme der Unabhängigkeit von der Umwelt und der Autonomie der Individuen (z.B. Kenntnis der Naturgesetze und Möglichkeiten der Steuerung).
  4. Anreicherung positiver Merkmale bzw. besonders vorteilhafter Erfindungen (z.B. Das Fahrrad ist eine Kombination der Erfindungen Eisen- bzw. Aluminiumherstellung, Entdeckung des Rads, Zahnrad, Übersetzung, Bremsen, Kugellagern, Lampen usw).
  5. Stabilität der Merkmale nach Erreichen eines funktionellen Optimums (z.B. Löffel, Flaschen, Zahlen, Noten sind schon über einen langen Zeitraum stabil).
  6. Entstehung von Rudimenten (z.B. Rückenknöpfe am Frack).
  7. Irreversibilität (z.B. mittelalterliche eiserne Ritterhelme werden zu Lederhelmen. Die späteren Stahlhelme entwickeln sich neu und nicht "zurück" zu mittelalterlichen Helmen.).
  8. Beibehaltung von Entwicklungstrends (z.B. Mikroskope und das Streben nach stärkeren Vergrösserungen.).
  9. Entwicklung von Exzessivbildungen (z.B. Lockengarnituren und Wespentaillen der Barockzeit).
  10. Parallelbildung und Konvergenzerscheinungen (z.B. parallele Entwicklung unterschiedlicher Heilmethoden und Operationsformen).
  11. Bastardisierungen (z.B. Veränderung der Sprache durch Lehnwörter; Taschenuhren mit Leuchtziffern).
  12. Gesetzlichkeiten der politischen Geschichte (z.B. Geltung der Selektionsprinzipien: Unterwerfung, Tributpflichtigkeiten, Koloniebildung).
  13. Entwicklung immer größerer, einheitlich geleiteter Gemeinschaften (Zentralisation auf politischer Ebene)
  14. Globale Tendenz zunehmender Demokratisierung (z.B. Autonomisierung durch Bildung).

Bei genauerem Hinsehen handelt es sich bei den von Rensch entwickelten Gesetzlichkeiten zwar nicht um 14 scharf getrennte Gesetzlichkeiten der Kulturentwicklung (Punkt 12-14 sind Anwendungen zuvor genannter Entwicklungen. Auch 4 und 11 erscheinen sehr verwandt). Dennoch handelt es sich um eine äusserst kenntnisreiche und kluge Zusammenstellung sehr plausibler Hypothesen.

Was von früheren Forschern geahnt, programmatisch geäußert oder auch in Teilbereichen exemplarisch belegt worden war, hat Otto Koenig mit hohem theoretischen und empirischen Anspruch in seiner Kulturethologie expliziert und fundiert.

Verändert nach Max Liedtke, "Kulturethologie; Entstehung und Funktion einer neuen wissenschaftlichen Disziplin". In: "Kulturethologie" erschienen im Realis Verlag.
(Liedtke, M. (Hg.), 1994. Kulturethologie - Über die Grundlagen kultureller Entwicklungen. Realis Verlag, München.)

 

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Die Karte zeigt die Wanderungen früher Hominiden und die entsprechende Verteilung von Werkzeugtypen.

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