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Otto Koenig

Was genau ist Kulturethologie im Sinne Otto Koenigs?

Den Begriff "Kulturethologie" hat Otto Koenig in seiner Arbeit über Kultur und Verhaltensforschung von 1970 umschrieben. Kulturethologie ist demnach "eine spezielle Arbeitsrichtung der allgemeinen Vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie), die sich mit den ideellen und materiellen Produkten (Kultur) des Menschen, deren Entwicklung, ökologischer Bedingtheit und ihrer Abhängigkeit von angeborenen Verhaltensweisen sowie mit entsprechenden Erscheinungen bei Tieren vergleichend befaßt". Kultur wird dabei von Otto Koenig als die lernabhängige Einpassung des jeweiligen Organismus in die Umwelt verstanden.

Ähnlich wie Bernhard Rensch hat Otto Koenig Gesetzmässigkeiten der Kulturentwicklung erkannt, die später von Max Liedtke in sieben Verlaufsformen kultureller Wandlungsprozesse beschrieben wurden:

1) Reliktbildung oder Tendenz zur Beibehaltung funktionslos gewordener Objekte

Die funktionslos gewordenen Objekte würden in diesem Prozess vielfach in den "Symbol-, Dekorations- beziehungsweise Repräsentations- und Imponierbereich" abgleiten, dabei oft ihre "ursprüngliche Zweckgröße" verlieren und "material-, form- und farbvariabler" werden. Ein klassisches Beispiel ist die Halsberge der Ritterrüstung, die sich in vielen, von O. Koenig detailliert beschriebenen Zwischenschritten, bis zum bloßen Feldabzeichen der deutschen Militärpolizei des zweiten Weltkrieges entwickelt hat.

2) Tendenz zur Luxurierung

Die Luxurierung kann sich auf alle Erscheinungsformen eines Gegenstandes oder eines Verhaltens beziehen. Hinsichtlich der Kategorie "Formveränderung", der O. Koenig sein besonderes, aber keineswegs ausschließliches Interesse widmet, ist durchgängig der Entwicklungstrend von der einfachen und ökonomischsten Linienführung "zur Wellen- oder Zickzacklinie und weiter zu Mäander-, Blätter- und Blütenformen" feststellbar (vgl. Knopflochverzierung; Entwicklung vom Knopf zum Stern: Koenig, O. 1975, 155). O. Koenig nennt dies dem Grundsatz nach "eine Verlängerung der Begrenzungslinie durch Oszillation". Bei Rationalisierungsbestrebungen ließe sich in der Regel der umgekehrte Weg, nämlich der der Linienvereinfachung, beobachten (vgl. vom Stern zum "Viereck": a.a.O.). Ein sehr überzeugendes Beispiel eines Luxurierungsprozesses ist das Uniform-Knopfloch, das zunächst eine bloße Verschlussfunktion hatte. Das zur besseren Haltbarkeit ausgenähte Knopfloch luxurierte bei manchen Uniformen aber zum Dekorstück, das schließlich über die gesamte Vorderseite der Uniform auswuchern konnte.

3) Schwund von Innenstrukturen

Unter bestimmten Rahmenbedingungen, z.B. bei der Zusammenfügung von Teilfiguren zu einem größeren Gebilde, kann schließlich die durch die Einzelteile bestimmte Innenstruktur verloren gehen und nur noch die Außenform erhalten bleiben. Diesen Prozess illustriert Otto Koenig u. a. am Beispiel der reich mit (in Stuckarbeit ausgeführten) Miribotas und Voluten geschmückten Renaissance- und Barockgiebel, die im 18. Jahrhundert z. B. bei niederbayerischen Häusern in "schmucklosen Giebeln mit sinnentleert welligen Dachkonturen" offensichtlich noch nachgezeichnet worden sind.

4) Heraushebung der Innenstruktur bei Verlust der Gesamtform

In gewisser Weise gegenläufig zur Regel 3 können ornamentale Formen auch dadurch entstehen, dass nicht mehr die Außenstrukturen einer Darstellung, sondern nur noch die zentralen Verlaufslinien beibehalten werden. Diesen Prozess belegt O. Koenig u. a. am Beispiel des Hakenkreuzes, das sich nach seinen Untersuchungen aus den Miribotas des Vierpasses entwickelt habe.

5) Tendenz zur Lateralsymmetrie

Vermutlich wegen der positiven Reaktion des Menschen auf Lateralsymmetrien tendieren insbesondere ornamentale Formen zur Ausbildung von Lateralsymmetrien. So habe die ursprünglich nur auf der linken Uniformseite vorhandene Schulterklappe, die den Tragriemen der Handgranatentasche sichern sollte, alsbald ein rechtes Pendant erhalten. Ein vergleichbarer Prozess sei es gewesen, dass die auf der linken Seite entstandene Hutkokarde schließlich auf die Stirnseite des Hutes gerückt ist.

6) Sparsamkeitsprinzip

Das Sparsamkeitsprinzip besagt, dass nicht-wahrnehmbare Objektteile in der Regel gegenüber den wahrnehmbaren Teilen "verarmen", d.h. an Farbe, an Qualität verlieren und im Extremfall völlig aufgegeben werden. Hier verweist O. Koenig u. a. auf das Beispiel der Herrenweste, die meist nur noch auf der Brustseite aus Anzugstoff bestehe, hingegen bei der nicht sichtbaren Rückenseite durch weniger teure Stoffe ersetzt worden sei.

7) Wandlungsstopp

Ein Wandlungsstopp, mindestens aber eine deutliche Verlangsamung des Wandlungstempos ist häufiger zu beobachten, wenn Kulturgüter oder eine Menschengruppe "aus ihrem ursprünglichen Heimatgebiet in fremde Räume" transferiert werde. Dieser Wandlungsstopp könnte mit der Sorge um den Verlust der Identität in der andersartigen Umgebung bzw. mit dem Wunsch nach Erhaltung eines übernommenen fremdländischen Kulturgutes erklärt werden.

 

max liedtke

Max Liedtke

Die beiden ersten in diesem Themenbereich angesprochenen Verlaufsformen (Reliktbildung, Luxurierung) sind von Otto Koenig besonders intensiv untersucht worden. Im Rahmen der Matreier Gespräche sind zu diesen Themen die Bände "Reliktbildung - Der Mensch und seine Kultur" erschienen im Jahr 2000 im Austria Medien Service und "Luxurierung" erschienen 2004 im Vehling Verlag entstanden. Die anderen Themenbereiche und Verlaufsformen sind in Koenigs Umschreibung der Kulturethologie zwar enthalten, sind von ihm aber nicht sehr ausführlich behandelt worden.

(verändert nach Max Liedtke, "Otto Koenig: Über Zusammenhänge von Natur und Kultur". In: "Lebenselement Wasser"; Verein für Ökologie und Umweltforschung.)

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